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Ein Rückblick auf das OpenVMS Advanced Technical Bootcamp 2008
Allgemein - 28-Mai-2008 14:19 UTC
Hallo!

Ich dachte, es könnte für andere von Interesse sein, wenn ich aus der Sicht eines Neulings einen Rückblick auf das OpenVMS Advanced Technical Bootcamp 2008 schreibe. Obwohl, ich sollte Sie vielleicht warnen, dass mein Blick dadurch getrübt ist, dass mein Blick auf OpenVMS - durch meine Arbeit am ES40 Emulator - mehr der aus der Perspektive des Alpha-Prozessors als der eines Endbenutzers ist. Meine Zeit als OpenVMS-Benutzer habe ich meist im Debugger verbracht, wo ich imaginäre Hardware-Fehler debuggt habe (von der Art, die bei echter Hardware nie auftreten würden).

Vielleicht sollte ich mit der Erklärung beginnen, warum OpenVMS in nur fünf Jahren mein Lieblingsbetriebssystem geworden ist. Seit der Universität (von Eindhoven, Elektrotechik und Informatik) war ich hauptsächlich mit Support und Entwicklung in Windows und Unix befasst. Ich werde nicht sagen, welches UNIX, aber es ist angeblich der hellste Stern an unserem Himmel. Ich kann nur vermuten, dass der Grund, warum OpenVMS nicht noch heller strahlt, darin liegt, dass die Design-Philosophie und die internen Konzepte Lichtjahre voneinander entfernt sind. Als OpenVMS mir vor fünf Jahren das erste Mal über den Weg lief, war mein erster Gedanke "das ist etwas eigenartig", gefolgt von "aber es ist wirklich gut konzipiert". Meine persönlichen Eindrücke von OpenVMS stammen aus dem Blick von außen, aus dem Studium des OpenVMS IDSM (Internals and Data Structures Manual, Spitzname "Infernals and Data Struggles") und von alten Quell-Listings (VMS 5.5-1). Es scheint eins der sehr wenigen mir bekannten Betriebssysteme zu sein, bei dem die Leute sich wirklich hingesetzt und alles durchdacht haben, bevor es implementiert wurde. Es ist so viel homogener als UNIX, und fühlt sich weniger "zusammengehackt" an. Anders als bei anderen Betriebssystemen sind Sicherheit und Clustering Teil des Designs, in den Kern des Betriebssystems eingebettet, was einer der Gründe ist, warum man mit OpenVMS Clustern diese erstaunlichen Laufzeiten erreichen kann, und warum es in 30 Jahren nur 19 Sicherheitswarnungen vom CERT für OpenVMS gegeben hat (vgl. Windows: 1745, das von mir benutzte UNIX: 346, Linux: 1790).

Während der letzten zwei Jahre, als ich am ES40 Emulator (www.es40.org) arbeitete, habe ich mehrere angesehene Mitglieder der OpenVMS-Community getroffen. Ich traf einige dieser wundervollen Leute auf Technical Update Days in den Niederlanden, habe aber die meisten online getroffen, in Foren und per Email, und dem gelegentlichen Skype-Anruf. Auf dem Bootcamp bin ich schließlich vielen von ihnen im wirklichen Leben das erste Mal begegnet.

Was mir beim Bootcamp am meisten auffiel, war das überwältigende Gefühl von Gemeinschaft. Nach nur einer Woche fühlt man sich, als würde man zu einer komplett neuen Familie gehören, und am Ende bedauert man, sie alle zu verlassen.

Eine weitere Auffälligkeit ist der extrem hohe Level der Sessions. Dies ist eine technisch orientierte Veranstaltung, und man merkt es. Man findet nicht viele Marketing-Typen bei diesem Event; die meisten Teilnehmer sind sturmerprobte Techniker. Sehr viele Sessions werden von (Ex-) OpenVMS Engineers gehalten, von Leuten, die große, disaster-tolerante Cluster erstellt haben, und von anderen genialen Leuten. Das wirklich Nette ist, dass jeder etwas Neues lernen kann, weil jeder seine eigene Spezialisierung hat. Es gibt jeden Tag tagsüber Sessions; zwei Keynotes im Plenum (wie z.B. die OpenVMS Roadmap, die einige der zukünftigen Entwicklungspläne beschreibt), und zwei wahlfreie Blöcke. Ein Block kann eine, zwei oder drei verschiedene Sessions umfassen, und für die meisten Blöcke gibt es etwa 15 Tracks zur Auswahl. Wenn Ihnen diese Erklärung unklar ist, sollten Sie sich die Agenda unter www.hp.com/go/openvms/bootcamp anschauen.

Die Vorträge, die ich am wertvollsten fand, waren die von Colin Butcher über den Entwurf von fehlertoleranten Clustern und von Rob Eulenstein über von Software verursachter Machinechecks. Colins Vortrag warf interessante Fragen auf, die man erwägen sollte, wie "wenn ein System ausfällt, WIE möchte man, dass es ausfällt" - wenn man bedenkt, dass selbst das am besten designte System ausfallen kann, wenn nur die Katastrophe groß genug ist. Für einige Systeme, z.B. im Aktienhandel, möchte man, dass das System aufhört, Daten zu verarbeiten und Aufträge anzunehmen, weil die Erhaltung von konsistenten Handelsdaten noch wichtiger ist als Uptime. Für Luftfahrt-Kontrollsysteme andererseits möchte man, dass das System bis zum letzten Atemzug durchhält, weil ein Komplettausfall katastrophale Konsequenzen hätte. Diese Art, die Dinge zu sehen, hat mir wirklich neue Einblicke gegeben. Rob warf in seiner Session einen Blick auf Machinechecks, die auf den ersten Blick das Ergebnis von Hardware-Ausfällen zu sein schienen, sich aber als von Software verursacht erwiesen. Rob dabei zuzusehen, wie er die Analyse von einigen Crashes betrieb, hat mir einige wertvolle Einblicke vermittelt.

Ich hatte die besondere Ehre, am Mittwochabend selbst als Vortragender aufzutreten, mit einer Präsentation über den OpenSource ES40 Alpha Emulator. Obwohl es offiziell der freie Abend für die Teilnehmer war, fanden sich dreißig Leute zu dieser Session ein (in einem Raum für zwanzig Personen), darunter einige angesehene OpenVMS Engineers. Die Session dauerte drei Stunden (vier für einige); um einiges länger als die geplanten anderthalb Stunden.

An anderen Abenden gab es verschiedene besondere Ereignisse, nach wundervollen Abendessen; am Montag war die Zeit für OpenVMS-Geschichten. Wir durften uns anstellen und unsere Geschichten zum besten geben, vor einer professionellen Jury (bestehend aus Richard Bishop, Andy Goldstein, Leo Demers, Robert Deininger, Rob Brooks, Forrest Kenney, und einem VMS Ambassador, dessen Name mir unglücklicherweise entfallen ist), die sich Notizen machte, und gelegentlich einen großen Gong anschlug (als Zeichen, dass eine Geschichte als langweilig empfunden wurde, und man aufhören sollte). Sie gaben schon vor Beginn zu erkennen, dass sie durch Alkohol bestechbar seien, und einige Leute versuchten das auch, mit Bier und auch alkoholfreien Getränken. Das schien aber keinen Einfluß auf den Ausgang zu haben. Jeder, der eine Geschichte erzählte, durfte sich ein Geschenk von einem Tisch mit coolen VMS-Dingen aussuchen (von denen die meisten alt und/oder einzigartig waren). Das Ergebnis der Jury legte die Reihenfolge dazu fest.

Am Dienstag fand das Partner Roundhouse statt, eine messeartige Veranstaltung für HP-Partner. Für mich persönlich war das der uninteressanteste Teil des Bootcamps. Obwohl einige der Partner sehr sachkundig waren, und interessante Dinge zu zeigen hatten, ist für viele von ihnen OpenVMS nur eine weitere Plattform für ihr Produkt, und einige von diesen wissen überhaupt nichts über OpenVMS. Mir macht es nichts aus, diesen Leuten OpenVMS näherzubringen, aber ich kann kaum glauben, dass ihre Vorstellung bei Leuten Anklang findet, die OpenVMS gut kennen.

Dienstag abend gab es das Awards Dinner. Ich kam zu spät, weil ich die Gelegenheit ergriffen hatte, mit meinem (seit letzter Woche) guten Freund Tore Bekkedal (der einer der jüngsten OpenVMS-Enthusiasten auf dem Bootcamp war, und ein besonders heller Computerfreak ist) das MIT Media Lab zu besuchen. Glücklicherweise war ich nicht zu spät dran, um - zu meiner Überraschung - eine Auszeichnung für die beste "Birds-of-a-Feather" Session zu bekommen. Ich wußte gar nicht, dass es dafür eine Auszeichnung gibt.

Ebenfalls riesigen Spaß machte die Keynote am Freitagmorgen; die Wiederholung des Demo-Films von HP über Desaster-Toleranz. Alan Frisbie und Colin Butcher bemannten zwei Schalter, und die Anwesenden stimmten darüber ab, wer die Ehre haben sollte, seine Hälfte des Clusters abzuschalten. Das sollte zeigen, dass bei dem Aufbau kein System einen Vorteil gegenüber dem anderen hatte. Der Failover kostete sogar noch weniger Zeit als in dem Film.

Der letzte Wahnsinnsspaß schließlich war, dass Andy Goldstein, OpenVMS Engineer seit dem ersten Tag, mich, Alan Frisbie und Tore Bekkedal auf eine private Führung durch die ZKO3-Anlage (in der sich die Büros und Labors des OpenVMS-Entwicklungsteams befinden) mitnahm. Weil HP nächsten Monat dort ausziehen wird, war das die letzte Gelegenheit, sich den Ort anzusehen, wo alles passiert ist.

Rückblickend kann ich nur zwei Macken am Bootcamp finden; die eine ist, dass man eine fast unmögliche Wahl zu treffen hat, weil man nur einige wenige der vielen angebotenen Sessions besuchen kann. Die andere ist, dass es alles sehr plötzlich vorbei ist. Man hat die ganze Woche bei vollem Tempo verbracht, und auf einmal ist die letzte Session vorüber, und das war's. Es ist ein sehr zwiespältiges Gefühl, weil es sich anfühlt, als ob man viele der Leute auf dem Bootcamp für lange Zeit gekannt hat, und gleichzeitig, als ob die Woche viel zu schnell vorbeigesaust ist.

Abschliessend möchte ich Sue Skonetski einen herzlichen Dank sagen. Sie hat als außergewöhnlicher OpenVMS Ambassador vermutlich Monate damit verbracht, alles zu planen, und hat sich großartig um uns alle gekümmert. Sue, Du bist die Beste, und die OpenVMS-Community wäre nicht dieselbe ohne Dich.

Camiel Vanderhoeven


Original auf www.openvms.org